PORNOINTERRUPTUS
Immer wenn die Kameras ausgingen, drückte Larry Sultan auf den Auslöser. Das war sein Ding, denn der Amerikaner dokumentierte die Drehpausen bei Pornoproduktionen. Eine Ausstellung in Bonn würdigt nun sein Lebenswerk
Larry Sultan ist im San Fernando Valley bei Los Angeles aufgewachsen. Bis zu seinem Tod 2009 konnte er nicht aufhören, das Glück zu beschwören, das es dort gab: „Ich werde diese Spaziergänge nie vergessen, den abendlichen Duft der Barbecues und von frisch gesprengtem Rasen. Unsere Körper schimmerten im Licht des Spätabends. Um dem Wasser der Rasensprenger auszuweichen, gingen wir mitten auf den breiten Straßen. Hinter den zugezogenen Vorhängen flackerte das kalte Licht der Fernseher.“ Als Sultan Fotograf geworden war, ging er wieder dorthin zurück. Eine seiner berühmtesten Serien, Pictures from Home, zeigt auf Dutzenden von Fotos seine Eltern in ihrem Habitat: einen gut gelaunten Mann, der im Wohnzimmer Golfabschläge trainiert, und eine Frau mit ondulierten Haaren im Herbst ihres Lebens in einer Umgebung aus Sommerfarben. Jedem einzelnen dieser Bilder sieht man an, wie sehr es nicht nur Wirklichkeit zeigt, sondern auch etwas ganz und gar Unwirkliches, ein Leuchten, eine Sehnsucht; schwer in Worte zu fassen, aber man erkennt es sofort, sobald man es sieht. Das gibt Sultans Bildern etwas beharrlich Irritierendes. Ist das Realismus? Oder romantische Inszenierung? Und wie schaffte er es, dass man sich diese Frage nicht beantworten kann? Als hätte er es darauf angelegt, Wackelbilder zu erschaffen, die jedes Mal, wenn man sie betrachtet, anders zurücksehen.
Die Häuser, in denen diese drehs stattfinden, sind Bühnen, die sich deren Bewohner für ein durchaus theatralisches Leben eingerichtet haben
Genau das war es, was Sultan an Fotografie immer wieder interessierte: ihre Fähigkeit, gleichermaßen zu inszenieren (wenn man so will: zu lügen) und die Wirklichkeit zu dokumentieren. In Evidence, der Serie, die ihn 1977 bekannt machte, hatte er zusammen mit seinem Kollegen Mike Mandel aus unzähligen anonymen Aufnahmen aus Polizeibehörden, dem Innenministerium und anderen Institutionen 5o Fotos herausgesucht und sie ohne Angabe der Quellen veröffentlicht: Menschen im Taucheranzug auf einem Teppich, in einem Feld von Schaum, mit rätselhaften Apparaten. Fotos, die ganz offensichtlich etwas beweisen wollen, aber jenseits der Kenntnis ihrer Entstehungskontexte unverständlich sind. 1998 begann eines der spannendsten Kapitel von Sultans Heimaterkundungen. Eine Zeitschrift hatte ihn beauftragt, einen Tag im Leben eines Pornostars zu beobachten, und als er am Drehort auftauchte, fiel ihm auf, dass der ganz in der Nähe eines Hauses lag, in dem ein Mädchen gewohnt hatte, in das er als Teenager verschossen gewesen war. Es war eine Situation, die ihn auf der Stelle faszinierte: etwas Abgründiges hinter den Fassaden der respektablen Mittelschichtswelt seiner Kindheit und Jugend. Er erfuhr, dass viele im San Fernando Valley davon lebten, ihre Häuser, die alle so ähnlich aussahen wie das seiner Eltern, an Pornoproduktionen zu vermieten, geschiedene Frauen, arbeitslos Gewordene, die ohne das Geld von den Pornoleuten ihre Eigenheimkredite nicht hätten halten können.
Sofa und Pussy
Fünf Jahre lang fotografierte Sultan auf solchen Sets während der Drehpausen: eine irrwitzige Serie namens The Valley, über die er selbst einmal sagte, es gehe in ihr „nicht um Porno, sondern um Möbel“. Dabei merkt man seinen Fotos an, wie sehr es bei Pornos und Möbeln um dasselbe geht: ums Vormachen, Inszenieren. Die Häuser, in denen die Pornodrehs stattfinden, sind Bühnen, die sich deren Bewohner für ein durchaus theatralisches Leben eingerichtet haben. Und die Schauspieler auf den Fotos Sultans sind deshalb so irritierend, weil sie genau in jenen Augenblicken gezeigt werden, in denen sie nicht Geilheit simulieren müssen, sondern sich ein paar Minuten lang vom Vorspielen erholen können. Sultans Bilder sind irritierend (die Boxer, die ihre Hintern in die Kamera recken, während ihr Frauchen gerade in ihr anderes Leben telefoniert), komisch (die drei Männer, die sich einen Film im Fernsehen reinziehen, ehe sie wieder ranmüssen), berührend (eine Schauspielerin, die sehr abgearbeitet und einsam auf einem Bett sitzt), melancholisch (ein nackter Mann, der zum Fenster hinaussieht). Aber eines sind sie nie: denunzierend. Wie in allen seinen Serien mag Sultan auch in The Valley die Menschen, die er porträtiert, und er lässt ihnen ein Geheimnis. „Am Ende schauen diese Menschen nicht zusammen fern“, hat er gesagt. „Sie gehen auch nicht zu Bett. Sie packen ihre High Heels, Reizwäsche und verschwitzten Shirts und fahren erschöpft durchs Valley, zu ihren Apartments“. In denen es nicht anders aussieht als in den Häusern, in denen sie sich gerade verausgabt haben, und in dem Haus, in dem er seine Kindheit verbracht hat.
Auszug aus der Serie The Valley von LARRY SULTAN © The Estate of Larry Sultan, courtesy Galerie Thomas Zander, Köln text BRUNO KOS