Wer’s Cannes, der Cannes
Wer zum Filmfestival nach Cannes fährt, bekommt die Stars nur von Weitem zu sehen, mit Glück ergattert er Karten zu einer der großen Premieren. Unserem Autoren reicht das aber nicht, denn für ihn gibt es nichts Aufregenderes, als mit den Stars zu trinken und zu tanzen. Wenn er zu ihren Partys nicht eingeladen ist, lädt er sich eben selbst ein. Für Noah erzählt er, wie ihm das gelingt
Mein Herz flattert. Das passiert, sobald ich in Cannes vor der roten Treppe des Festivalpalais stehe. Jedes Jahr ist das so, es fühlt sich an, als würde ein Matrose sein Mädchen nach einem Jahr auf See wiedersehen. Während des Filmfestivals wird aus dem kleinen Küstenstädtchen ein Jahrmarkt mit mehr als 30 000 Produzenten, Stars, Regisseuren, Presseagenten, Journalisten und Verleihern, die 2 000 Filme promoten und Filmdeals im Wert von geschätzten 200 Millionen Dollar verhandeln. In diesen Tagen leuchtet Cannes, und das liegt nicht nur an der Abendsonne, die in einem perfekten rechten Winkel zur Croisette über dem Meer untergeht und auch die Touristen in einen goldenen Schleier hüllt. Es liegt an den Limousinen, den aufflammenden Blitzlichtern und den Menschen in bodenlangen Abendkleidern und Smokings, die zur Dämmerung aus den kleinen Gassen treten und zum Festivalpalais schreiten. Dass Cannes und ich zusammengehören, habe ich 2006 erkannt. Damals war ich erstmals als Autor akkreditiert und hatte mit viel Einsatz – um genau zu sein: mit einer Übernachtung auf einer Parkbank nahe dem Ticketschalter – eine Karte für Marie Antoinette erkämpft. Es war ein Wahnsinnsgefühl, die rote Treppe hinaufzusteigen, in meinem besten Anzug, den ich auch zu Hochzeiten und Vorstellungsgesprächen trage. Links und rechts säumten Heerscharen von Fotografen die Treppe, zur Feier des Festivals alle im Smoking. Und dann, im Dunkel des Kinosaals, saßen nur einige Reihen vor mir Sofia Coppola und Kirsten Dunst. Ich konnte ihre Gesichter im Halbprofil beobachten, wie sie ihren eigenen Film sahen. Irre. Nach der Filmpremiere stand ich total euphorisiert in der warmen Nachtluft. „Champagner!“, verlangte es in meinem Kopf. Ich wollte trinken, über Filme reden, mit nackten Füßen im Sand tanzen. Doch die anderen Zuschauer waren wieder in den kleinen Gassen gegenüber dem Palais verschwunden, und ich stand allein mit meinen Lackschuhen und meiner Lust auf Glamour auf der Croisette. Bekümmert schlenderte ich zum Petit Majestic, einer Bar, die von allen das „Deutsche Eck“ genannt wird, weil die Kollegen ohne Partyeinladungen hier stranden und Bier aus Plastikbechern trinken. Ich sah meinen Becher an und dachte: „Kann es das gewesen sein?“ Eine Journalistin aus Berlin erzählte am Nebentisch von einem Franzosen, der sich am Samstag auf die Vanity Fair-Party im Hôtel du Cap-Eden-Roc zwischen Nizza und Cannes geschummelt hatte. Ich lehnte mich zurück und lauschte. Allein die Idee war irrwitzig! Die Vanity Fair-Party ist der Heilige Gral der Cannes-Partys. Sie ist das Klassentreffen der Stars, vergleichbar nur mit den Oscars und für Normalsterbliche so unerreichbar wie Asgard oder Avalon. Das Hotel ist von einer hohen Mauer umgeben und nur zum Meer hin offen, nirgendwo gibt es mehr Security. Der Franzose hatte zwei Tage zuvor einen Smoking und ein Champagnerglas zwischen den Felsen versteckt und war am Abend der Party um das Kap geschwommen. Als ein Wachmann kam, erklärte er munter, er sei nur kurz ins Wasser gesprungen, und zeigte ihm seinen Smoking und das Champagnerglas. Die Kollegen der Journalistin lachten, ich aber war elektrisiert: Natürlich. Es ist ganz egal, ob man eingeladen ist oder nicht. Wer Cannes wirklich erleben will, feiert die Nächte durch. Koste es, was es wolle.
IM AUFZUG MIT LEO DI CAPRIO
Erfüllt von meiner Mission, verließ ich das „Deutsche Eck“ und kehrte zur Croisette zurück. Von meinem Freund Michel, Filmkritiker einer überregionalen Zeitung, wusste ich, dass die Premierenparty von Marie Antoinette in einem Strandclub stattfand. Der war leicht zu finden, schließlich wurde der Eingang von sechs Security-Männern und drei Listendamen mit Klappbrettchen und hochgesteckten Haaren gesäumt. Im Schatten der Palmen überlegte ich, wie ich mir Zutritt verschaffen sollte. Und da kam mir das Glück zu Hilfe geeilt, zweifellos begeistert, unter all den Filmbesuchern ein wagemutiges Herz ausgemacht zu haben: Die Tür zur Küche des Clubs stand einen Spalt breit offen. Ich zog mein Handy aus der Tasche und betrat laut englisch sprechend die Küche. Mein Herz raste, die Köche blickten mich irritiert an, doch niemand wagte es, mich anzusprechen. Ich lief durch die Küche und fixierte die Tür am anderen Ende, welche ins Herz der Party führen würde. Weil ich recht aufgeregt war, aber so wirken wollte, als wüsste ich genau, was ich tat, riss ich die Tür auf, schritt hindurch – und stieß geradewegs mit dem Rücken von Francis Ford Coppola zusammen. Obwohl ich zu verblüfft war, um auch nur einen Ton zu sagen, begriff ich, während er mich irritiert ansah und sich dann gleichmütig abwandte, dass kein Geringerer als der Godfather höchstpersönlich bei meinem Einstand als Partycrasher Pate gestanden hatte. Am nächsten Tag begann ich die im Palais ausliegende Fachpresse zu studieren. Viele der Partys wurden dort bereits mit Location angekündigt. Ich ließ Visitenkarten mit einem Logo und dem Titel „Filmdistributor“ drucken und besorgte mir ein kleines Taschenmesser und Klebefilm, um mir die Wichtigbändchen von weiterziehenden Partygästen umbinden zu können. Bald lernte ich die wichtigste Partycrasher-Regel: Man braucht einen Plan. Klar, das wusste schon James Bond, Vater im Geiste und glamouröses Vorbild aller Partycrasher. Wird man erwischt, ist das unangenehm, keine Frage. Aber ohne wenigstens eine Ausrede parat zu haben hinter der Garderobe entdeckt zu werden, das ist erniedrigend. Wer sich auf eine Party schummeln will, muss den anderen also immer einen Schritt voraus sein. Sprachkenntnisse gehören zur Grundausstattung. Spricht ein französischer Security-Mann einen misstrauisch an, muss man sofort in empörtem Englisch auf ihn einreden. Franzosen vernichten jeden, der schlechtes Französisch spricht, aber vor Englisch haben sie gleich Respekt. Auch wenn meine Nächte in Cannes oft länger als die Tage sind: An meiner Liebe zum Film ändert sich nichts. Im Gegenteil, ich warte immer noch regelmäßig morgens um neun am Ticketschalter. Nur stehe ich jetzt oft in schwarzem Anzug und Lackschuhen in der Schlange, weil ich die Nacht zwischen koksenden Russen, Investmentbankern, schönen Frauen und Jungschauspielern verbracht habe. Die echten Stars, das muss ich an dieser Stelle leider mitteilen, verstecken sich entweder im VIP-Bereich oder sind nur kurz dabei. Sie drehen eine Ehrenrunde und verschwinden dann wieder, um sich elegant in Abwesenheit feiern zu lassen.
Für manche Partys braucht man keine Tricks, um ohne Einladung mitzufeiern. Es reicht schon, etwas früher da zu sein. Als 2010 Ridley Scott das Festival mit dem Film Robin Hood eröffnete, fand die Feier im Hôtel Majestic statt. Am frühen Abend fuhren Michel und ich mit dem Fahrstuhl in den sechsten Stock und warteten. Kam ein Zimmermädchen vorbei, taten wir so, als wären wir am Lift noch in ein Gespräch vertieft. Nach anderthalb Stunden fuhren wir wieder hinunter ins Foyer. Russell Crowe und Salma Hayek lehnten an der Bar und tranken Moët & Chandon, und die bezaubernde Léa Seydoux stand so dicht neben mir, dass ich die Tüllspitze ihres gelben Kleids berühren konnte. Endlich war ich wieder auf der anderen Seite. Und so unglaublich es klingen mag: Wenn man einmal dort ist, sind die Stars überall. Gut, außer Ewan McGregor bleibt keiner bis zum Morgengrauen – aber erst einmal sind sie da und erleuchten den Raum. Manchmal bin ich schon am frühen Abend ganz besoffen vom Anblick der schönen Menschen, von dem Gedränge aus Anzügen und Ausschnitten und dem völlig überteuerten Gin Tonic, den ich mir zum Warmwerden in der Bar eines der drei großen Hotels – das Martinez, das Carlton und das Majestic – gönne. Dann will ich nicht durch die Hintertür schleichen, sondern einen Auftritt hinlegen. Wenn man den Türsteher nicht persönlich kennt, hat es absolut keinen Sinn, sich bei einer Filmparty in die Schlange einzureihen. Da kann man die ganze Nacht warten und bleibt trotzdem vor der Tür. Also ziehe ich mit Michel an der Menge vorbei und baue mich vor dem größten, am strengsten guckenden Security-Mann auf. „We called“, sage ich dann nachdrücklich und versuche, autoritär und zugleich angespannt auszusehen. Schaut er mich emotionslos an, nickt mein Kopf in Michels Richtung und ich zische: „Jason Connery – Sohn von Sean Connery? Wir haben extra angerufen, um uns anzukündigen.“ Dann kommen nach kurzem Zögern zuerst ein strahlendes Lächeln und dann die einladende Handbewegung. Ab und an wird hektisch mit den Klemmbrettdamen getuschelt, und unangenehmerweise ist es schon vorgekommen, dass wir abgewiesen wurden. Doch meist endet es, PR-Damen hin oder her, mit Champagner.
auf meinen neuen karten stand „filmdistributor“
Überhaupt, diese Damen: Sie halten sich an ihren Brettchen fest, sonst fühlen sie sich hilflos. Doch Listen sind nicht perfekt, und deshalb geben die Ladys schnell nach, wenn man einen Plan hat. Michel hatte sich für die Party eines französischen Fernsehsenders auf einer Jacht lediglich den Namen der Moderatorin gemerkt, die für ihre Livesendung gerade Interviews am roten Teppich führte. Als die Wärterin nach unseren Namen fragte, schenkte Michel ihr ein charmantes Lächeln (auch eine wichtige Regel: autoritär oder freundlich auftreten – niemals unsicher). Michel verwies auf die Moderatorin, die ja am Festivalbunker Stars abgriff. Die Wächterin telefonierte, lief aufs Boot und wieder zurück. Nach ein paar Minuten gab sie auf, lächelte entschuldigend und legte uns unsere Bändchen um. Die eleganteste Art des Crashens ist das Surfen. Dafür benutzt man einen Star als Welle, die einen quasi auf die Party spült. Vor zwei Jahren wurde Leonardo DiCaprio zu meiner perfekten Welle. Es war der Premierenabend von The Great Gatsby. Als das Filmteam das Festivalpalais während des Applauses durch die kleine, gut bewachte Tür im Foyer verließ, stand ich schon bereit. Leo und seine Entourage traten durch die Tür, und ich schloss mich leisen Schrittes der Gruppe an. Je näher man einem Star ist, desto sicherer ist man. Niemand traut sich, den Mann neben Leo zu fragen, was er hier zu suchen habe. Und Leo ist es egal, der hat bei offiziellen Anlässen schließlich immer Männer in Anzügen um sich. Wir gingen an den Wachmännern vorbei einen Gang entlang bis zu einem Fahrstuhl und stiegen ein. Es heißt ja, Schauspieler seien meist kleiner, als sie auf der Kinoleinwand wirken. Das ist auch so, große Action-Stars wie Bruce Willis und Tom Cruise reichen mir nur bis zur Schulter. Aber Leo, Leo ist mindestens einen Kopf größer als ich. Da stand ich also auf engstem Raum mit Leo, dem Regisseur Baz Luhrmann und zwei Leibwächtern und war nervös. Kein Plan, verdammt. Würde einer mich fragen, was ich hier zu suchen hätte, mir fiele keine Antwort ein. Also probierte ich, unbeeindruckt zu wirken. Ich beachtete die beiden gar nicht und tippte mit zittrigen Fingern eine SMS. Unten angekommen, ging es durch den Regen zur Premierenfeier im Strandrestaurant La Palme d’Or, direkt hinter dem Festivalpalais. Netterweise begleitete mich ein Security-Mann und hielt einen Regenschirm über mich, damit der Anzug, den ich auch zu Beerdigungen trage, nicht nass wurde. Als ich am nächsten Morgen verkatert und noch immer in meiner Anzughose aufwachte, las ich auf meinem Handy die SMS, die ich im Fahrstuhl getippt hatte: „dhgsdbfwib iuagf dghdhiig.“Letztes Jahr eroberte ich dann den Heiligen Gral der Filmfestspiele. Ich wünschte, ich könnte hier mit einem James-Bond-Vergleich einsteigen und erzählen, wie ich tagelang mit einem Anzug unter der Tauchausrüstung im Infinity-Pool ausgeharrt hatte, doch die Einladung zur Party von Vanity Fair erreichte mich auf bestürzend unspektakuläre Weise. In der Pressevorführung des Films Timbuktu hatte ich einen amerikanischen Produzenten kennengelernt. Er war nur eine Nacht da und überließ mir seine Einladung mit einem feierlichen Blick und den Worten „Do me proud“. Das wollte ich gern tun. Vor der Feier war ich mit Michel im „Deutschen Eck“ verabredet. Man will ja nicht zu früh erscheinen, außerdem schien es sinnvoll, mir wenigstens ein klein wenig Mut anzutrinken. Schließlich wurden Cate Blanchett und Rosario Dawson erwartet, nachweislich zwei der schönsten Frauen der Welt. Michel und ich haben einige Becher Bier mit ein paar Damen von der NRW-Filmstiftung getrunken. Michel erzählte allen von meinem goldenen Ticket, und ich schäme mich nicht zuzugeben, dass ich ihre Bewunderung für mein Schicksal teilte. Und dann war ich so gut gelaunt, dass ich noch ein paar Bier bestellte. So kam ich schwer angetrunken und ein wenig später als geplant zum Hôtel du Cap-Eden-Roc. Ich näherte mich dem größten der sieben Security-Männer und versuchte, meine Einladung aus der Innentasche meines Jacketts zu ziehen. „Welches Zimmer, Monsieur?“, fragte er zuvorkommend. „Ich bin nicht Gast des Hotels, ich bin Gast der Party“, antwortete ich und schwenkte meine Einladung vor seinem Gesicht. Der Wachmann beugte sich vor und schaute mich milde an: „Monsieur, je suis désolé, die Party ist seit einer halben Stunde vorbei.“
text BEN SCHWERDTNER