HAIFISCH
Seine Texte waren wild und voller Wahn, ausschweifend und legendär. Hunter S. Thompson, Erfinder des Gonzo-Journalismus und vor zehn Jahren auf eigenen Wunsch aus dem Leben gegangen, verwischte wie kaum ein anderer Autor die Grenzen zwischen Literatur und Journalismus. Dieser Text, den Noah auf den folgenden Seiten abdruckt, sollte 1976 das Vorwort für einen Sammelband seiner besten Reportagen werden. Doch wie immer bei Dr. Gonzo kam alles anders. Schnallen Sie sich an.
Dieses Buch wird – wenn und falls es in den Druck geht – wie eine Feuersäule dastehen; als Monument eines wie auch immer gearteten Treibstoffs, eines Wahnsinns oder einer großen und mysteriösen Energie, die an den Wurzeln dieser Nation noch immer vor sich hinköchelt und sie in einer Welt, die uns nicht mehr nötig hat, am Leben hält. Ich habe in meinem Leben mindestens neun scheußliche Dinge gemacht, die ich niemals wieder tun müssen will, und ich habe in den letzten zwanzig Jahren mindestens die Hälfte meiner wachen Stunden damit zugebracht, Dinge zu tun, die bekanntermaßen als verloren und von vornherein als aussichtslos galten; und die meisten davon haben gut genug funktioniert, oder zumindest habe ich sie überlebt und bin daraus mit einem ausreichend intakten Körper und Geist hervorgegangen, um darauf bestehen zu können, dass die Dinge für irgendetwas gut waren … hätte mir aber jemand vor zwanzig Jahren prophezeit, dass ich lange, bevor ich vierzig bin, in den späten Stunden eines eisigen Nachmittags in den Rockies auf über zweitausend Meter Höhe von einem schrillen Telefonläuten geweckt werde, das überall in meinem nur halb fertigen Blockhaus zu hören ist, und dass ich dann die Stimme eines Lektors von Random House zu hören bekomme, die mir sagt, ich hätte nicht mehr als achtundvierzig Stunden Zeit, um eine schlüssige „Einleitung“ für eine Kollektion „meines Werkes“ zu verfassen, die bis Ende des Jahres in Buchform erscheinen und in jeder amerikanischen Bibliothek im Regal stehen wird, dann wäre meine unmittelbare Reaktion darauf gewesen, dermaßen entschlossen mit einer Wette dagegenzuhalten, dass ich begierig einen Notar aufgesucht und sofort unterschrieben hätte; mit meinen beiden Eiern und sogar meinen beiden Daumen als Sicherheit. Doch das hätte es nun wirklich nicht gebraucht, und vor zwanzig Jahren wäre das auch gar nicht möglich gewesen. Denn da saß ich im Jefferson County Jail in Louisville, Kentucky, wegen einer erdichteten Vergewaltigungsanklage hinter Gittern, und niemandem in der Stadt wäre selbst eine Dreidollarwette mit Eiern und Daumen als Faustpfand das Risiko einer Zwanzig-Jahre-Schuldverschreibung wert gewesen. Mit siebzehn war ich ein schamloser jugendlicher Straftäter, die Antwort von Louisville auf Billy the Kid, und nicht mal meine Freunde konnten sich vorstellen, dass ich älter als zwanzig werden würde. Auch ich selbst hätte das kaum für möglich gehalten – obwohl, wenn mir jemand Geld dafür geboten hätte, hätte ich die Wette vermutlich angenommen und mich gut dabei gefühlt – siegen oder verlieren.
Eine solche Wette wäre nicht das Schlechteste für mich gewesen. Die Zahlen in diesem Alter waren alle zu meinen Gunsten, und man hätte schon verrückt sein müssen, um ein solches Spiel mit mir zu spielen. Denn mein Ruf als verrückter Typ und krimineller Teenager ließ die Aussicht, eine solche Wette gegen mich zu gewinnen, beinahe genauso unangenehm erscheinen, wie sie zu verlieren. Am Tag meines zwanzigsten Geburtstags hätte ich bei Sonnenaufgang entweder den Gewinn eingesammelt oder die Häuser all derer in Brand gesteckt, die bei mir in der Schuld gestanden wären. Eine meiner letzten Aktivitäten als Schüler in der High School bestand darin – es war gegen Mitternacht, am Tag meines endgültigen Ausschlusses –, einen Kasten Bier zu klauen und mit Hilfe zweier Freunde, die an diesem Abend nichts Besseres vorhatten, raus in den schicken Vorort zu fahren, in dem der Schulinspektor wohnte, um ihm mit 24 Flaschen sämtliche Fenster an der Vorderseite seines Hauses einzuwerfen … Ich habe immer noch das Krachen dieser höllischen Attacke im Ohr: Alle zehn Sekunden gab es dieses helle Klirren, wenn wieder eine Fensterscheibe zerbrach, gefolgt von einem dumpfen feuchten Boom, wenn die Bierflasche dann auf dem Teppich oder auf der Wand oder einem der Möbel im Inneren seines Hauses aufschlug und zersprang. Weiß Gott, was die armen Kerle oben gedacht haben mögen, als sie sich aus ihren Betten rollten und im Flur verzweifelt auf Händen und Füßen herumkrochen und im Dunkeln nach einem Telefon tappten, um die Polizei zu rufen … (wie es anschließend im Bericht auf Seite eins im Courier-Journal hieß …) Wir wussten aber, dass wir genug Zeit haben würden, also begaben wir uns auf die Wiese und zielten noch einmal, ehe wir alle restlichen Flaschen gleichzeitig durch die Fenster warfen und wie die Verrückten lachten, wenn wir das Geschepper hörten, das aus dem Haus drang … und irgendwann, als die Cops eingetroffen sein mussten, befanden wir uns längst fünf Kilometer entfernt auf dem Golfplatz im Cherokee Park, aufgekratzt von all dem Adrenalin, als wir uns in einem Sandloch hügelabwärts vom ersten Grün zusammenkauerten, und alle drei taumelten wir und schrien betrunken herum und versuchten, uns zu beruhigen, indem wir einen der sechs Kästen leertranken, die wir am frühen Abend aus einem Lager gestohlen hatten … Weit unter uns blickten wir über den Cherokee-See hinaus, auf die steile verwinkelte Fairway Nummer fünf, die sich immer noch wie eine hässliche grüne Wunde durch meine Erinnerungen an diese Jahre meiner von Gin getränkten Jugend zieht, die wiederum mit diesem Park verknüpft war und diesem See und dem Golfplatz, wo ich die meisten der späten Nachmittage meiner Zeit an der Highschool verbrachte, denn es war der einzige Ort, von dem ich wusste, dass mich der Bewährungshelfer nicht finden konnte … und in Nächten, in denen es warm war oder zumindest warm genug und Tau so dick auf den Wiesen lag, dass es zu nass war, um sich hinzusetzen, außer wenn man nackt und selbst der Sand in den Bunkern so feucht war, dass man ihn in der Hand formen konnte wie einen Schneeball mitten im Sommer … In Nächten wie diesen, und besonders, wenn wir wussten, dass die Polizei hinter uns her war, flüchteten wir uns also in den Cherokee Park und fuhren zum Golfplatz, ohne Licht, zu unserem Versteck unter den Eichenbäumen beim Grün Nummer eins, wo wir auf den schweren Steinbänken sitzen und unsere Gilbey’s-Flaschen schlürfen konnten, und wir legten uns dann immer sorgfältig unsere Alibis zurecht und starrten runter zum See auf den Parkplatz des Toddle House und auf die Hintertür der Old Kentucky Tavern, wo wir normalerweise zwei oder drei Autos ausmachen konnten, die Freunden von uns wie Sam Stallings oder Bob Butler gehörten, die ihre minderjährigen Freundinnen in die Kneipe mitschleppten, um im dunklen und dreckigen „Hinterzimmer“ einen Tom Collins zu trinken oder auch zwei.
ich war ein schamloser straftäter
ich weiss noch, dass 27 das alter war, das ich erreichen wollte
So viel also dazu, und ich muss wohl betonen, dass ich viel länger gelebt habe, als ich oder irgendjemand sonst es erwartet hätte, und deshalb hatte ich keine Pläne und keinerlei Vorbereitungen für dieses unerwartet lange Leben und für jene Realitäten getroffen, die damit einhergehen sollten. Meine eigenen Berechnungen, die seit meinem fünfzehnten Lebensjahr, als uns die Frage nach der eigenen Lebenserwartung erstmals bewusst wurde und zu einem unterhaltsamen Objekt für allerlei Spekulationen bei mir und meinen Freunden geworden war, gründeten ursprünglich auf einem persönlichen Kalender, der mit dem Höchstalter von 27 Jahren endete. Ich erinnere mich nicht, wie ich auf diese Zahl kam, aber ich weiß noch sehr genau, dass 27 – im Sinne einer Wette – das Alter war, das ich erreichen wollte, auch wenn die Quote gegen mich gesprochen hätte. Jedes Jahr, das ich darüber hinaus erleben würde, würde meinen Gewinn verdoppeln. Ich hätte zum Beispiel, wenn ich auf meine Lebenserwartung gesetzt hätte, an meinem 28. Geburtstag keine Wetten angenommen, die unter 2:1 gelegen wären. Jeder, der also bereit gewesen wäre, 100 Dollar zu wetten, dass ich keine 28 werden würde, hätte mir an meinem 28. Geburtstag 200 Dollar zahlen müssen – wenn ich dann noch geatmet hätte oder sagen wir, wenn ich körperlich noch dazu in der Lage gewesen wäre, denjenigen zu bedrohen, der seine Spielschulden nicht bezahlen würde. Der Preis für die 29 wäre mindestens 4:1 gewesen, und selbst bei doppeltem Einsatz (8:1) wäre eine Wette gegen die Wahrscheinlichkeit, dass ich jemals dreißig werde, eine Wette geworden, die in die Geschichte eingegangen wäre. Die realen Gewinnchancen auf mein Erreichen des 30. Lebensjahres auf dieser Erde, denke ich, wären wohl eher bei 20:1 gelegen. Nun ja … machen wir weiter: noch einer dieser verzweifelten, leicht verrückten Sprints in letzter Minute, um eine Deadline einzuhalten … Und, ja, es dämmert schon wieder; diesmal in Woody Creek, wo die Sonne sehr plötzlich aufgeht, hinter diesen fiesen weißen Bergspitzen, die entlang der kontinentalen Wasserscheide verlaufen … und jetzt, um 6.33 Uhr, an diesem kalten Mittwochmorgen, blitzen lange Strahlen wie Laserlicht und mit der Farbe weißen Goldes über den schneebedeckten Kamm hinunter ins Tal … und ja, ich habe eben eine weitere Rate meiner Nachrichtenjunkieschulden abgetragen, indem ich meinem alten Freund Hughes Rudd wieder mal bei seinem Auftritt in den Morgennachrichten auf CBS zuschaute …
Keine Wut, keine Freude
SIE GEBEN NICHT MAL ZU, DASS ICH GEFEUERT WERDE
Diesmal aber sah ich mich nicht in der Lage, den Morgennachrichten meine volle Aufmerksamkeit zu schenken: Es sind eine Menge Dinge passiert, und ich erinnere mich, Teile eines langen und intensiven Gesprächs zwischen (CBS-Korrespondent) Bruce Morton und irgendjemand Wichtigem aus dem Weißen Haus oder dem Nebligen Boden oder irgendeinem anderen Außenposten, der Zugang zur Welt von Jimmy Carter ermöglicht, verfolgt zu haben … Wer es war, habe ich vergessen, genauso wie das, was Bruce und Hughes ihn gefragt haben; ich weiß aber sehr genau, dass nichts in diesem Gespräch auch nur irgendeine Wirkung auf mich hatte. Ich habe keine Wut gespürt, keine Freude, keine Spur von Aufregung … Es war ungefähr so, wie einer Pressekonferenz von Cyrus Vance (US-Außenminister von 1977 bis 1980) beizuwohnen – und ich will es nicht ausschließen, dass es eben vielleicht sogar Vance war, den sie da gerade interviewten, eine Art kultivierten Telefon-Pfosten in den Anfängen seiner Menopause … Was nicht das Schlechteste sein muss, denn wenn er es richtig anstellt, ist er auf dem besten Weg, ein ewiger Elder Statesman zu werden, jene Rolle, die momentan von so eleganten Fossilien wie Clark Clifford (Verteidigungsminister von 1968 bis 1969) und Averell Harriman (Wirtschaftsminister unter Präsident Franklin Delano Roosevelt) besetzt wird, deren langjährige „Dienste“ für die Demokratische Partei und für die Nation – in dieser Reihenfolge – ihnen eine seltene und sehr spezielle Art von Statur verlieh, die vor allem deshalb geschätzt wird, weil damit ihre Glaubwürdigkeit auf der Ebene nationaler Politik und internationaler Diplomatie gestärkt wird; so funktioniert die auf Hochleistung getrimmte, gedämpfte Nach-Einbruch-der-Dunkelheit-Arena in Washingtons sozialem Zirkus, zu dem die Speisesäle von Georgetown gehören, die Gartenpartys in den Anwesen auf der anderen Seite des Flusses im waldigen McLean und die Empfänge in den privaten Penthouse-Suiten im Botschafterviertel. Es gibt also keine rationale Erklärung dafür, warum ich mich so seltsam und unsicher fühle, wenn ich daran denke, wie es wäre, unter allen Umständen vierzig Jahre alt zu werden; sicherlich aber nicht zusammen mit einer Ehefrau, einem Sohn, meiner eigenen Festung in den Rockies und der unsäglichen Verpflichtung, ein Buch mit meinen eigenen Texten zusammenzustellen … Was seltsam genug ist, Leute, also versucht es, mit mir zusammen auszuhalten. Mag sein, dass ich nicht richtig damit klar komme – mit dem grundsätzlichen Fremdheitsgefühl, das von Dingen erzeugt wird wie ein Haus zu haben und eine Familie und als über Dreißigjähriger das eigene Leben geregelt zu bekommen … Denn viele Leute haben genau das getan und haben das schon viel länger überlebt als ich, so oder so; der Faktor aber, der mir einen Strich durch die Rechnung macht, ist der, schon zehn Jahre länger zu leben als jeder gewettet hätte; in einem Hochgeschwindigkeitsschwebezustand im freien Fall, auf den ich niemals vorbereitet war, und jetzt schaue ich darauf zurück und stelle fest, dass ich die ganze Zeit über echtes Geld bekommen habe, dafür, dass ich in der Welt herumgezogen bin und über alles geschrieben habe, was auf meinem Weg lag … und so sitze ich hier in diesem schalldichten Verlies, das ich mir selbst gebaut habe, auf über zweitausend Meter Höhe über dem Meeresspiegel, und arbeite mich durch Berge und Berge und Berge meiner eigenen „Werke“ und versuche zu entscheiden, welcher Teil der Berge in Das Buch wandern soll, einem großen Klotz mit Fotos von mir auf dem Cover und auf der Rückseite … Nun ja, diese beinahe perfekte Vision der Hölle auf Erden ist mein Geschenk für diese auf Knien kriechenden Drecksäcke beim Time-Magazin, wo ich einst einen Job hatte und als vielversprechender junger Mann galt. Aber das ist lange her – und als sie herausfanden, wer ich wirklich war, kündigten sie mir.
umgekehrter Darwinismus
Richtig: „Mach dich auf den Weg, Bursche, du bist nicht unser Typ …“ Und jetzt geben sie es nicht mal mehr zu. Ich habe einen Brief von der Personalabteilung von Time, adressiert an die Herausgeber des Playboy (die darum gebeten hatten) –, und da heißt es, ich sei eine wundervolle Person gewesen und hätte meinen Job gut gemacht … Und das ärgert mich: erstens, weil es eine glatte Lüge ist, und zweitens, weil ich sehr hart dafür arbeiten musste, um bei Time gefeuert zu werden; und die Tatsache, dass ich am Ende erfolgreich damit war, ist ein Grund für mich, stolz zu sein, noch dazu, wenn ich daran denke, was aus mir geworden wäre, wenn ich dabei gescheitert wäre. Wir alle haben unsere ganz privaten Alpträume, und dies ist einer von meinen: Dass ich immer noch für Time arbeite – immer noch die Firma ausraube, indem ich alles, was ich tragen kann, aus dem Gebäude schaffe; mich immer noch mit halbnackten halbbetrunkenen Vassar-Mädchen auf der Ledercouch von (Geschäftsführer) Henry Grunwald herumschlage, wenn es spät wird in manchen Deadline-Nächten; und mir immer noch einrede, dass ich mich „nächste Woche“ umsehen werde, um eine Arbeit zu finden, für die ich mich nicht mehr entschuldigen muss … Der Mann, der mich damals einstellte, meinte, ich sei ein „Trainee“, doch nach einer Woche begriff ich, dass ich in Wirklichkeit ein Bürobote war, und das einzige Redaktionstraining bestand darin, dass ich dabei zuschauen konnte, was mit den Artikeln passierte, die ich von den Arbeitsplätzen der Schreiber zu denen der Redakteure trug; und dann wieder zurück. Die „redaktionelle Bearbeitung“ war oft so massiv und demütigend, dass es mich persönlich beschämte, wenn ich den Artikel dann zu den Schreibern zurückbringen musste – denn ich wusste, dass sie wussten, dass ich das Zeug auf den Wegen hin und zurück gelesen hatte; und ich erinnere mich noch gut an den glasigen Blick in den Augen guter Schreiber wie John McPhee und John Skow, wenn ich ihnen einen brutal entstellten Artikel zurückbrachte. Ah … aber was soll’s? Einige von uns haben es überlebt, und im Rückblick betrachte ich mein Jahr bei Time als eine Art persönliche Einführung in angewandten oder vielleicht sogar besser: umgekehrten Darwinismus, und im Großen und Ganzen war es keine schlechte Sache. Wenn man hinzunimmt, dass ich mein erstes Jahr des Arbeitens und Lebens in der großen Stadt damit finanzierte – in (Greenwich) Village wohnen, mit dem ersten Roman anfangen und in jeder erdenklichen Richtung Amok laufen –, dann zwang mich mein Job bei Time auch dazu, mich täglich mit der Welt des großen, prestigeträchtigen Journalismus zu befassen, von dem ich bald wusste, dass er nicht das sein würde, womit ich in diesem Leben Erfolg haben wollte … was im Alter von 21 Jahren eine durchaus wertvolle Erkenntnis ist. So also bin ich der Time Inc. in jedem Fall zumindest in dieser Hinsicht dankbar. Sie schenkten mir ein Dach über dem Kopf, Geld, Zeit zum Nachdenken und einen ganzen Strauß voller freiwilliger Sozialleistungen, wie es in Manhattan üblich war; zu einem Zeitpunkt in meinem Leben, da dies alles war, was ich wirklich brauchte. Dazu kommen einige wenige lang anhaltende Freundschaften – etwa mit George Love, dem wohlgelittenen Herstellungsleiter, für den es schlimmer war, dass ich gefeuert wurde, als für mich selbst; oder Tom Vanderschmidt, inzwischen Redakteur bei Sports Illustrated, dessen unglückselige Idee, mich nach Las Vegas zu schicken und einen Bericht über das „Mint 400“ schreiben zu lassen, in einem totalen Desaster für ihn und das Magazin endete; für mich aber war es ein unvorhergesehenes Ticket für einen der bizarrsten Wellenbrecher im Journalismus des 20. Jahrhunderts. Was als 250-Dollar-Auftrag begann, um nichts weiter als eine längere Bildunterschrift für Sports Illustrated zu verfassen, wurde etwa zwei Jahre später ein Buch mit dem Titel Angst und Schrecken in Las Vegas – das trotz einer langen Geschichte von finanziellen Pleiten auf allen Ebenen unter all den Dingen, die ich geschrieben habe, mein persönlicher Favorit geblieben ist. Und es ist immer noch der einsame Meilenstein für alles, was seitdem auf genuine und verwirrende Weise schamlos als „Gonzo-Journalismus“ bezeichnet wird.In der Tat … Aber das ist schon zu lange ein Sprung für mich, als dass ich ihn jetzt machen würde – gedruckt oder sonst wie. Mein Absturz, der vor so langer Zeit, dass es wie ein anderes Leben scheint, mit einem pinkfarbenen Slip bei Time begann, wurde gewaltsam im Sommer 1976 beschleunigt, als Time auf einer ganzen Seite einen brutalen und hysterischen Angriff auf mich und auf alles, wofür ich stand oder auch nicht stand, führte; geschrieben von einem dieser Lohnschreiber mit leerem Blick, dessen Schreibtisch einst eine meiner regulären Aufsammel- und Abgabestationen gewesen war, als ich noch als Bürobote meine täglichen Runden drehte. Wahrscheinlich gibt es eine Art seltsame und vielleicht sogar „poetische“ Gerechtigkeit bei einer Sache wie dieser – aber die Logik entflieht mir gerade, und ich habe nicht die Zeit, noch länger darüber nachzudenken; ich könnte höchstens auf diese alte und gewöhnlich treffende Volksweisheit zurückgreifen, die besagt, dass man jemanden kennt, „wenn man seine Feinde kennt“. Was mir einen inneren Frieden und öffentliche Genugtuung verschafft, denn die drei Namen, die immer ganz oben auf meiner „Feindesliste“ der letzten fünfzehn Jahre standen, lauten Richard Nixon, Hubert Humphrey und Time-Magazin. Ich hatte mit allen aus nächster Nähe zu tun, und sollte ich etwas bedauern, dann höchstens, dass ich noch viel zu zögerlich auf all die Bastarde eingeschlagen habe …
Aus: Hunter S. Thompson: Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten. Gonzo-Briefe 1958–1976. Aus dem Englischen von Wolfgang Farkas. Erschienen 2015 in der Edition Tiamat, 608 Seiten, 28 Euro